Sehen und Erkennen in Kunst und Wirklichkeit
Das Sehen ist die Wahrnehmung von Objekten auf Grund von Reizungen durch Lichtstrahlen, die von Objekten ausgesandt, gebeugt oder reflektiert werden. Es werden verschiedene Qualitäten der visuellen Wahrnehmung unterschieden: Sehschärfe, Gesichtsfeld, Farbsehen, Kontrastwahrnehmung, Dunkelanpassung, räumliche Wahrnehmung und Bewegungssehen.
Das reine physikalische Sehen transportiert eine Bildinformation auf die hintere Wand des Auges - auf die Netzhaut. Von dort werden die Reize durch physische und chemische Vorgänge an das Gehirn weitergegeben. Erst die Erfahrung mit dem Gesehenen über einen Zeitraum, und die Konsequenzen im Zusammenspiel mit dem durch das Bild Begreifbaren, ermöglicht dem Denkenden ein Erkennen durch Kombination. Oder anders gesagt:„Erkennen beruht auf expliziten Lernprozessen, das sind solche, in denen bereits Erlebtes miteinander assoziiert wird.“
Bilder und Objekte in der Kunst werden durch das Sehen wahrgenommen und durch unsere eigenen Erfahrungen mit dem Bewusstsein jedes Einzelnen erkannt. Was und in welcher Weise etwas erkannt wird oder erkennbar wird ist eine höchst individuelle Leistung. Farbe und Form, Lichtgestaltung und geplante Effekte verschleiern den Inhalt einer Bildinformation oder tragen mit Absicht zum Erkennen bei.
Unsere multimediale Ist-Zeit überschwemmt unsere Sinne zu jeder Zeit des Tages mit bunten immer wieder neuen und wechselnden Bild-Informationen. Die Bildinfluenz bewegt sich zwischen morgendlicher Tageszeitung und abendlicher Internetwelt. Bildwerke und Bild-Erlebnisse für die in der Vergangenheit weite Reisen in Kauf genommen wurden sind heute über das Buch oder das World Wide Web für jeden zugänglich. Wird das Bild eines Tages das geschrieben Wort verdrängen?
Leiden wir bereits an einer Reizüberflutung durch Bilder und wie nehmen wir Gesehenes heute in unser Denken und Handeln auf? Ich denke das sind spannende Fragen!
Können wir zu jeder Zeit Wahrheit und Lüge in einer Bildinformation herauskristallisieren? Hier ein aktuelles Beispiel aus der TV-Werbung eines Internet-Providers. Zwei Bilder werden dem Rezipienten zugespielt die in seinem Gehirn zu einer Information zusammenschmelzen. Erste Information DSL 6000, zweite Information ein Preis von 19,99 €. Wir kombinieren DSL 6000 kostet 19,99 €! Fehlanzeige. Der DSL 1000 kostet 19,99 € und kann bis zu einem DSL 6000 aufgestockt werden. Das erfährt der Kunde erst im Laden des Werbetreibenden. Und wer schon mal angebissen hat schluckt auch den Happen.
Aber zurück zur Kunst und zur Bildbetrachtung:
In der Globalauswertung der hier gezeigten Zeichnung Minotaurus, konzentriert sich der Betrachter darauf einen Gesamteindruck der Szene zu gewinnen. Farbinformation, Formen und Lichtgestaltung werden analysiert und mit dem Titel des Bildes verglichen. Ist das zu Vermutende zu Erkennen?
Als nächstes erfolgt die Detailauswertung und die im einzelnen und genauen hinsehen erworbenen Informationen werden mit den vorhergehenden aus der Globlauswertung verglichen und gegebenenfalls ergänzt oder revidiert. Hier wird auch zwischen dem Farbauftrag im Vordergrund und der Zeichnung im Hintergrund unterschieden. Finden Sie die Bildinformationen die über die Geschlechter Auskunft geben und suchen Sie den Stier und die Jungfrau!
Erst in dieser Phase - in der elobrativen Auswertung - wird die visuelle Wahrnehmung übersetzt und individuell zu einem mentalen Modell zusammengebaut. Auswahl und Reihenfolge der berücksichtigten Details werden durch Übung und Erfahrung optimiert. Hier tritt die individuelle Neigung des Rezipienten zu Tage und eine Frau sieht sicherlich anderes als der Mann.
Mehr über das mentale Modell ist in der Literatur unter dem Stichwort Wahrnehmungspsychologie zu erfahren.
Ihre persönliche Wahrnehmungen beim Lesen dieses Artikels und bei der Betrachtung der Zeichnung können Sie dem Künstler und Autor Hartmut F. K. Gloger über E-Mail: info@gloger-kunst.de mitteilen. Mehr finden Sie unter http://www.gloger-kunst.de/; Leserbriefe und Kommentare zum Thema: Sehen und Erkennen in Kunst und Wirklichkeit, werden veröffentlicht.
erschienen in der Zeitschrift für Kommunikation, NET, 1/2/2007
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